Mondlicht
Eine Vollmondtour auf das Fluchthorn (Silvretta)
am 30. Juli 2004


Die Nacht ist dunkel, kalt und klar,
der Himmel wieder voller Sterne.
Wo eben Sommersonne war,
glänzt nun der Mond in weiter Ferne.

Schon bald ist Ruhe eingekehrt.
Im Schutz der ersten Dunkelheit
ertönt ganz rein und ungestört
des Berges Ruf nach Einsamkeit.

Du hörst die Wiesen rauschen im Wind,
du hörst die Bäche toben.
Wo die Steine von Eis überzogen sind,
dort folgst du dem Drang nach oben.

Im fahlen Mondlicht, bleich und schwer,
siehst du die Schatten spielen.
Du weisst den Berg hoch über dir.
Es ist nur einer von so vielen.

Der Mond verharrt fast regungslos,
als wolle er nun bei dir bleiben.
Die Schatten werden riesengroß,
doch ohne ihr Gesicht zu zeigen.

Fast unbemerkt entfernt er sich.
Von den Schatten bleibt dir keine Spur.
Die Nacht erstrahlt im Sternenlicht,
und deinen Weg weisen Erinnerungen nur.

Da fällt ein grauer Schleier nieder,
bedeckt das Haupt des Felsenwehres.
Ganz einsam findest du dich wieder
am Ufer eines Wolkenmeeres.

Dort stehst du nun im Morgengrauen,
um von Nah in die Ferne zu schauen,
um auf dem höchsten Punkt zu stehen,
um von oben nach unten zu sehen.

Kein Licht belebt die Schattenwesen.
Die Welt verbirgt sich unter dir.
Es scheint sich alles aufzulösen,
und niemand folgt dir mehr bis hier.

"Wo seid ihr nun, ihr Nachtgestalten?
Hat der Tag euch aufgehalten?
Hat der Wind euch fortgetrieben?
Könnt ihr nicht auch den Morgen lieben?

Ich sehe nichts, hör keinen Ton.
Ich will hier nicht mehr bleiben!
Die Sommersonne wartet schon,
und es wird Zeit hinab zu steigen."

Auf deinem letzten Gang zu Tale
siehst du vor dir noch viele Male
den ersten Schritt, den du getan.
Und schon nimmt Form und Farbe an,
was einst vom Mond beschienen war.
Die Welt ist nicht mehr unsichtbar.

Erst jetzt siehst du die Wiesen blühen,
erst jetzt die Bäche funkeln.
Erst jetzt kannst du die Berge sehen
und deinen langen Weg im Dunkeln.


(c) 2004